Auf der Suche nach Inspiration
Als der Autor Edgar Saint Prieux die nahezu heruntergekommene „Herberge am Ende der Welt“ entdeckt, weiß er, dass er gefunden hat, wonach er suchte. Mit einer Kutsche ist er durchs Land gereist, um einen Ort zu finden, der ihn inspiriert. Hier – in Trebernec, einem ausgestorbenen Küstenörtchen, ist dieser Platz. Das Ambiente ist schauerlich, was die Fantasie des Autors sogleich anfacht. Trotz schwerer Krankheit nimmt der Wirt der Hauses ihn als einzigen Gast auf. Allerdings scheint Prieux in dieser schäbig wirkenden Unterkunft doch nicht mit dem Mundschenk allein zu sein. Im Zwielicht tauchen merkwürdige kleine Rattenwesen auf, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Als der Wirt das Angebot macht, die Geschichte von diesen Wesen zu erzählen, willigt der Schriftsteller sofort ein. Somit begeben die beiden sich auf eine Reise 60 Jahre in die Vergangenheit, ins Jahr 1822:
Der junge Yann und das hübsche schwarzhaarige Mädchen Irena sind ein Herz und eine Seele. Noch sind sie große Kinder, aber beide malen sich bereits ihre Zukunft als Mann und Frau aus. Eines Tages jedoch wird ihre Freundschaft jäh auseinandergerissen – bei einem Überfall in Strandnähe wird Irenas Mutter ermordet und Irena verschwindet. Die Trauer im Dorf über den doppelten Verlust ist groß, Yann und Irenas Vater haben schwer daran zu tragen. Doch ihr Vater gibt die Hoffnung nicht auf und tatsächlich kehrt Irena nach zehn Jahren zu ihm zurück. Aber sie spricht nicht und noch etwas ist anders: Sie hat plötzlich die Gabe Tiere zu heilen. So wunderbar dies von einigen Dorfbewohnern empfunden wird, als so teuflisch empfinden dies andere. Und weiter verschwinden Menschen aus dem Dorf – meist kehren sie zurück, jedoch sind sie dann völlig verändert.
Schön und schaurig
Prugne und Oger, die bereits zusammen an Canoe Bay arbeiteten, legen hier mit Die Herberge am Ende der Welt eine weitere gemeinsame Arbeit vor. Anders als in Canoe Bay ist die Story hier nicht abenteuerlastig, sondern eher märchenhaft mit phantastischen Gruselelementen. Rund um eine Jugendliebe spinnt sich die geheimnisvolle Handlung und berichtet von dem verlassenen Dorf und dessen Schicksal. Ogers Story ist dabei geradezu klassisch und erinnert an Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts. Prugnes faszinierendes Artwork erweckt das Ganze in weichen Aquarellen zum Leben. Text, Zeichnungen, Kolorierung und die gesamte Stimmung des Bandes harmonieren immens miteinander. Die gut 140 Seiten lesen sich wie im Fluge, viel zu schnell ist das Ende da. Und dieses ist mit seiner Schönheit und Tragik absolut stimmig und schließt die Story wunderbar ab.
Der Comic hält sich mit Text vielerorts zurück; obwohl viel Story erzählt wird, gibt es keine sehr langen textuellen Erzählpassagen. Einige Panels kommen komplett ohne Worte aus, die ich aber nie vermisst habe. Auch so nimmt das Szenario seinen Fortgang und hat zudem meine Fantasie angeregt. Wer bisher keine Aquarelle mochte, wird hier sicher umgestimmt, so filigran und schön sind die Zeichnungen.
Der Band ist im etwas kleineren, handlichen „Splitter Book“-Format erschienen, hat dafür aber umso mehr Seiten als die meisten großformatigen Ausgaben und einen zusätzlichen Schutzumschlag. Ein wunderschönes Stück Comickunst, das ich immer wieder gerne zur Hand nehme und auch liebend gerne weiter empfehle.
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Die Herberge am Ende der Welt
Geschrieben – Gezeichnet
Tiburce Oger – Patrick Prugne
Genre und Leseprobe
Comic. Graphic Novel. Phantastik. Schauerliteratur.
Eine Leseprobe gibt es hier beim Splitter Verlag.
Noch ein paar Details
Ende August 2010 erschienen bei Splitter, Einzelband, ISBN 978-3-940864-08-6, 144 farbige Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, EUR 19,80
Unbedingt auch für Comic-Einsteiger geeignet!
Den Comic habe ich damals (2010) als kostenfreies Rezensionsexemplar erhalten. Meine Meinung ist davon natürlich unbeeinflusst.
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