Im Abstand von je 50 Jahren
1918: Ida arbeitet als Dienstmädchen in einer höher gestellten Familie, dessen Oberhaupt im Krieg als Militärazt dient. Ihre Tage sind trist und von Arbeit erfüllt. Doch sie beginnt sich einzufinden und eine gute Beziehung mit der Mutter der Familie aufzubauen. Sie dient Ida als Vorbild, kann aber diese Funktion nicht lange erfüllen. Das Bild beginnt zu bröckeln.
1968: Marlies lebt mitten in Berlin der späten 1960er Jahre. Bei ihrer Arbeit in einem Café trifft sie auf einen jungen Mann, der Literatur studiert. Sie ist fasziniert von Wolfgang, der sich in seinem Studium mit ihrem Lieblingsthema beschäftigt. So gerne würde Marlies eigentlich in einer Buchhandlung arbeiten. Als Mitglied des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) bringt Wolfgang aber noch eine ganz andere Facette mit in Marlies‘ Leben.
2018: Selin, die gerade erst ihr Abitur in der Tasche hat, will nun erst einmal ins Leben nach der Schule finden. Zusammen mit ihrem besten Freund Finn lässt sie die Tage ohne Ziel verstreichen. Beide schauen von Ferne ihrer Freundin Alina zu, die das Dreiergespann Richtung Amerika verlassen will. Sie möchte dort ein Studium beginnen und scheint sich von ihren Freunden schon jetzt zu distanzieren.
Drei Portraits
Autorin Julia Zejn hat in Drei Wege das Leben dreier junger Frauen miteinander verwoben. Ida, Marlies und Selin trennen Jahre und das obwohl sie gleichen Alters sind. Jeweils 50 Jahre liegen zwischen den Zeiten, in denen sie leben und so klein diese Zahl doch eigentlich ist, so sehr unterscheiden sich doch die Lebensumstände dieser Frauen. Dieser direkte Vergleich lässt einen Perspektivwechsel und Identifikation auch mit den uns heute so weit entfernt scheinenden „Welten“ zu – bringt sie einen aktuellen Kontext. Alleine sich vorzustellen, dass vor gerade mal 100 Jahren die Aussichten für junge Menschen so ganz anders waren als heute. Dass ein „sich unterordnen“ absolut üblich und es nur sehr schwer möglich war, aus diesen gesellschaftlichen Vorgaben auszubrechen.
Ganz wunderbar bindet die Autorin die jeweiligen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Hintergründe mit ein. Krieg, Unterdrückung, Depression, Suizid, SDS und Protestbewegung der 68er, Selbstbestimmung – diese und einige weitere Themen schlummern zwischen den Panels dieser Graphic Novel, dieses Comics. Im Vordergrund aber bleiben die Frauen und damit auch das Frauenbild im Wandel der letzten 100 Jahre. Allerdings führt die Vielzahl an Thematiken auch dazu, dass sie alle nur angerissen werden. Eine tiefergehende Beschäftigung erfolgt nicht, das soll dieser Comic aber vermutlich auch nicht bieten. Eher sehe ich ihn als Anregung zum weiteren Einstieg und vor allem als Transparenz schaffendes Buch, um die Entwicklung in diesem Zeitraum anschaulich zu machen.
Ganz subjektiv betrachtet hatte ich Probleme mit der Art der Zeichnungen. Einen Comic lese ich immer als Gesamtkunstwerk. Szenario, Text, Bild – all das zusammen macht die Geschichte aus. Es kommt vor, dass mich eine der Komponenten im Lesefluss stört. Weil es einen Bruch gibt, weil Teile anscheinend nicht zusammenpassen. In Drei Wege haben mich die Zeichnungen immer mal wieder rausgebracht. Perspektiven erschienen mir unpassend, die Menschen wirkten „ungelenk“. Damit ist die Aussagekraft des Comics nicht geschmälert, mein Leseerlebnis jedoch schon.
Insgesamt kann ich Drei Wege im Besondere für jüngere Leser*innen empfehlen. Der historische Abriss und die Gegenüberstellung der Situationen in denen sich Menschen im Abstand von nur einem halben Menschenleben befinden, macht neugierig auf das Bild in weiteren 50 Jahren. Wie wird es 2068 aussehen?
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Drei Wege
Geschrieben – Gezeichnet
Julia Zejn
Genre und Leseprobe
Comic. Graphic Novel. Frauen. Geschichte. Biografie.
Eine Leseprobe gibt es hier beim Avant Verlag.
Noch ein paar Details
Oktober 2018 erschienen bei Avant, Einzelband, ISBN 978-3-945034-99-6, 184 farbige Seiten, Softcover, EUR 25
Auch für Comic-Einsteiger geeignet!
Den Comic habe ich als kostenfreies Rezensionsexemplar erhalten. Meine Meinung ist davon natürlich unbeeinflusst.
4 Comments
Miss Booleana
6. Mai 2019 at 19:58Tolle Idee – finde ich sehr spannend. Wie wird wohl 2068 aussehen? Und werde ich mich dann noch daran erinnern wie 2018 war!? ;) Der visuelle Stil ist nicht so ganz meins … ähnlich wie du geschrieben hast, wirkt er auch auf mich etwas ungelenk, was aber oftmals auch seinen Charme haben kann.
booknapping
9. Mai 2019 at 20:36Ja, das beschäftigt mich auch. Schließlich ist in den letzten paar Jahren so viel passiert.
Liebe Grüße
Sandra
Elizzy
12. April 2019 at 10:40Einer wundervolle Rezension!
booknapping
13. April 2019 at 09:46Danke :-*
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