Die Experimente der Erinnerung …
Es kommt sehr sehr selten vor, dass ich Klappentexte zitiere. In diesem Fall aber, halte ich es für den richtigen Einstieg in diese Besprechung. Ich beginne also mit einem Zitat des Textes auf der Buchrückseite:
Gefangen an einem unbekannten Ort, schmiedet der Erzähler heimlich Fluchtpläne. Die Tatsache, ohne Erinnerungen zu sein, erschwert das Vorhaben. Doch der Drang, endlich auszubrechen aus diesem furchteinflößenden, schneeverwobenen Schloss, lässt ihn jedes Risiko eingehen. Und so gerät der Erzähler immer tiefer hinein in einen wirren Strudel aus rätselhaften Begegnungen und magischer Paranoia, die er spielerisch zu entschlüsseln hofft, was ihn letztlich zum Ursprung seiner Erinnerungen führt. Der All-Age-Roman ist ein technoides Märchen, das sich mit Virtualität auseinandersetzt und die Frage aufwirft, was Erinnerungen sind und was sie bedeuten. Nichts ist so, wie es scheint in der Geschichte und die Frage, was Realität ist, muss immer wieder neu überdacht werden.
Und mache direkt mit einem Widerspruch weiter, denn ich halte Kryonium nicht für einen All-Age-Roman. Auch die Bezeichnung Fantasy, die ich an manchen Stellen gefunden habe, ist meines Erachtens unpassend. Zwar haben wir hier durchaus ein Werk der Phantastik vor uns, jedoch ist der fachlich-sachliche Anteil doch sehr präsent, was aufgrund des Hintergrunds des Autors Matthias A. K. Zimmermann nicht verwunderlich und auch stets sehr fundiert ist.
Worum geht es also in Kryonium?
Ich hole etwas aus und kann dabei dieses Mal keine völlig spoilerfreie Rezension versprechen. Kryonium beschäftigt sich unter anderem mit der Computerspielsucht, virtueller Abhängigkeit und dem völligen Eintauchen in eine nur virtuell vorhandene Welt, der Immersion. Der Roman nimmt uns Lesende mit auf die Reise in eine Psyche des aus seiner Perspektive erzählenden Protagonisten und springt dabei selbst nicht nur durch unterschiedliche Wahrnehmungswelten, sondern auch – zumindest virtuell – rückwärtsgerichtet durch verschiedene Zeiten. Die Erzählung selbst bleibt stets im Präsenz. Mit voranschreitender Handlung (und einem ständigen Zurückblicken) zeigt sich parallel ein Voranschreiten des Verständnisses um die eigene Situation der Hauptfigur, was dem im Nachwort (von Stephan Günzel) genannten Vergleich mit Platons Höhlengleichnis entspricht.
Kryonium ist deutlich das sachkundige Fundament des Autors anzumerken, der laut im Roman enthaltener Biografie musikalische Komposition, Kunst & Vermittlung, Game Design, Art Education und Pädogik studiert hat und neben der Tätigkeit als Schriftsteller als Maler und Medienkünstler arbeitet.
Umso klarer die Richtung und Intention des Romans für mich wurde, desto mehr habe ich mich gefragt, ob die gewählte Sprache und der Transport der Handlung an mich als Leserin, mit voller Absicht so stark changierte. So lasen sich Teile sehr stakkatohaft, Satz reihte sich an Satz, ohne dass ein gewisses Fließen der Sprache, des Textes entstand. Es stellte sich eine gewisse Monotonie ein und so schwierig es war, diese über viele Seiten hinzunehmen, desto stärker wurde in mir der Verdacht, dass dies mit voller Absicht geschehen ist. Dass ich eben diese Gleichförmigkeit spüren sollte – hintergründig im Text – denn dies entspräche auch dem behandelten Thema.
Für das Lesen des Textes ist diese Form nicht sehr förderlich, was die Lektüre etwas schwerfällig macht. Zum Ende hin nimmt außerdem der die fachlichen Hintergründe erläuternde Anteil stark zu und ist, für meinen Geschmack, sogar zu ausführlich. Insgesamt wirkt Kryonium steril (vermutlich gewollt), während es mit großer Fachkompetenz interessante Themen vorbringt, erläutert und in der Gesamtheit sehr schlau und rund konzipiert ist. Eine Art literarisches Experiment, das bei einem zweiten Lesen vermutlich viele weitere Aspekte erkennen lässt. Wer sich auf dieses einlassen möchte, ist bei Kryonium richtig.
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Weitere Meinungen zum Buch findet ihr zum Beispiel hier:
geek’s Antiques
Phantastisch Lesen
2 Comments
Buchperlenblog
11. Juni 2020 at 11:58Liebe Sandra!
Ich bin ja irgendwo bereits im zweiten Teil gescheitert und bin nun ganz froh über deine Meinung dazu. Ich hatte unglaublich mit der gewählten Sprache zu kämpfen, die mir im ersten Abschnitt teilweise echt albern vorkam, um dann im zweiten schon eher in dieses stakkatoartige abzufallen. War einfach nicht meine Welt, muss ich ehrlich zugeben. Na, vielleicht gebe ich dem Buch irgendwann später mal noch eine Chance. :)
Liebe Grüße!
Gabriela
booknapping
12. Juni 2020 at 08:13Liebe Gabriela,
ich musste zwischendrin auch pausieren, wollte anfangs sogar ganz aufgeben. Andere positive Stimmen haben mich dann aber ermunternd. Irgendwie ist die große Überzeugung bei mir aber ausgeblieben. Man muss nicht alles lesen, weißt du ja ;-)
Liebe Grüße
Sandra
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