Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Spuren des legendären Babylon gefunden. Der großen antiken Stadt, die aus unserer Sicht fast mystisch wirkt. Mit ihrer Fortschrittlichkeit, der Pracht der Bauwerke mit den sie schmückenden bunten Bemalungen und ihrer schieren Größe. Was ein Ort der Begegnung, welch Metropole der Kulturen mag diese Stadt gewesen sein. Robert Koldewey leitete damals im Auftrag der Deutschen Orient-Gesellschaft die Ausgrabung, stieß dabei auf das legendäre Ishtar-Tor, dessen Rekonstruktion noch heute im Deutschen Museum Berlin zu sehen ist.
Koldewey ging dabei akribisch vor, stellte sich gegen die Vorgabe, die Funde in einzelnen Parzellen nacheinander zu bergen und ließ das gesamte Gelände in einem Stück freilegen. Er kommunizierte mit Kollegen und Kolleginnen, streitete und diskutierte mit den Auftraggebern, ordnete dabei seine eigene Position und litt. Unter einem entzündeten Blinddarm. Alles an einem einzigen Tag im Jahr 1913. Von diesem berichtet Babel.
Ein Tag
Einen ganzen, einen einzigen Tag begleitet Babel den Architekten Robert Koldewey und bietet damit die Chance so vieles zu sein. Die Biografie eines Menschen, dessen unermüdliche Arbeit unter anderem dazu geführt hat, dass wir das beeindruckende Ishtar-Tor in voller Größe in Berlin selbst betrachten können. Ein faszinierender Roman aus der Zeit kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs von einer der spannendsten Ausgrabungsorte unserer frühen Geschichte. Ein sprachliches Kunststück von einer begabten Poetikerin, die als Ethnologin und Altorientalistin über fundierte wissenschaftliche Hintergründe verfügt.
Aus Ziegelbruch würden sie also zusammengesetzt, der in Babylon herumlag und der allenfalls von Dorfbewohnern in der Nähe des Euphrats für ein Wohnhaus, einen Stall oder einen neuen Kanal wiederverwendet oder nach Bagdad verkauft werden würde, wenngleich die Dorfbewohner lieber ebenjene aus europäischer Sicht kulturverbrecherische Tat begingen und ganze Ziegelsteine aus noch existenten Mauern herausbrachen. Es gab Kulturen, die Vergangenheit wiederverwendeten, und es gab Kulturen, die ihre Vergangenheit ausstellten.
Jedoch sind diese, meine, Erwartungen an Kenah Cusanits Romandebüt nur zu einem kleinen Teil erfüllt worden. Die tiefgehenden und beeindruckenden Kenntnisse der Autorin sind deutlich auf jeder Seite zu spüren. Wenn sie in Auszügen von Briefwechseln sowohl von ganz Persönlichem, als auch, fast beiläufig, von der weltpolitischen Lage berichtet. Wenn sie Koldeweys akribische Listen zitiert. Und wenn sie Buch führt über das Fortschreiten der Ausgrabung. Jedoch bleibt der erzählende Teil zugunsten des berichtenden auf der Strecke. Babel liest sich eher wie eine Abhandlung. Es scheint eine Messerspitze einer geheimen Zutat zu fehlen, die das Buch zu einem gut lesbaren Roman machen würde. Denn die sprachliche Finesse ist durchaus immer wieder spürbar. Nur reißt eine wiederkehrend kühle Berichterstattung einen dann schnell wieder raus, kaum, dass man sich im Text wohlig niedergelassen hatte. Und über allem hängt der Dämon der fiebrigen Blinddarmentzündung Koldeweys, was den Text, aus meiner Sicht, zusätzlich mit einer ungemütlichen Schwere belastet.
So ist Kenah Cusanit mit Babel zwar ein ohne Zweifel kenntnisreicher Bericht über einen Tag im Leben des Ausgrabungsleiter Koldewey gelungen, inklusive einem weiten Blick ins Jahr 1913, jedoch fehlt mir ein Quentchen zu einer guten Romanlektüre.
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