Im mittelalterlichen Paris kommt eine Frau zu Tode. Der wahre Mörder wurde nicht gefunden, doch an einem Ort, an dem der „Henker“ weilt, bleibt kein Mord ungesühnt. Er selbst bleibt im Dunkeln, zeigt niemals sein Gesicht. Seine Identität ist geheim, niemand kennt ihn, seinen Aufenthaltsort oder wo er nächtigt. Aber doch ist er da, die Schuld der Täter scheint ihn geradezu anzuziehen. Und auch die Täter können dem Sog nicht widerstehen. Wie Lämmer bewegen sie sich auf ihr eigene „Schlachtung“ zu. In der „Stunde des Henkers“, wie die Pariser es nennen, übt der „Henker“ dann Gerechtigkeit.
Aber kann es denn tatsächlich eine solche göttliche Gerechtigkeit geben? Was ist, wenn die dem Henker verliehene „Gabe“ ihn auf eine falsche Spur führt?
Zeit für Gabella
Gabellas „Einhorn“ habe ich bis heute nicht gelesen, obwohl ich immer wieder Lobeshymnen über diese Reihe gehört habe. Nun startete der Splitter Verlag im Dezember vergangenen Jahres mit Gabellas Serie „Der Henker“, was nun endlich auch mein Einstieg in sein Werk war.
Fast ausschließlich in gedämmten Farben, wie braun, grün und grau kolorierte Jean-Baptiste Hostache die Zeichnungen (Julien Carette) und Hintergründe (Jérôme Benoit). Der Strich beider Zeichenkünstler ist eher fein mit vielen geschwungenen Linien, so sticht der Henker mit seiner schwarzen Kluft und Maske bei seinen Auftritten oft sehr massiv und drastisch heraus. Klasse gemacht, wie er auf den Seiten geradezu alles Licht „verschluckt“, was auch metaphorisch ein tolles Bild ergibt.
Coming of age des Henkers
Erzählerisch fokussiert sich Gabella auf das Schicksal des „Henkers“ und dabei handelt es sich keineswegs nur um eine einzige Person, sondern eher um eine Rolle, die weitergegeben wird. Während der Henker von Paris nun einen Jungen in die Rolle des „Begabten“ versucht einzuführen, ihm gegenüber einige seiner Geheimnisse lüftet, wird auch seine ganz eigene Historie erzählt.
Wer genau hinschaut, kann Parallelen zwischen modernen „Helden“ des 20. und 21. Jahrhunderts sehen, die als Rächer durchs Leben streifen und wie auch Gabellas Protagonist mit Zweifeln ob ihres Tuns konfrontiert werden. Panels, die den Henker auf Vorsprüngen über den Dächern von Paris zeigen – dies zudem in voller Montur und Maskierung – verstärken diesen sicherlich gewollten Eindruck.
Dies mindert aber nicht das anspruchsvoll aufgebaute Szenario. Die Ähnlichkeiten sind im Rückblick sogar präsenter als beim Lesen selbst. Denn Gabella erzählt seine Geschichte vielschichtig, auf mehreren Ebenen, kann schon nach den ersten paar Seiten überraschen. Alles Punkte, die eine Story spannend und interessant machen.
„Göttliche Gerechtigkeit“ ist mystisch und geheimnisvoll, dabei zugleich auch religiös und stellenweise brutal.
Insgesamt ein absolut gelungener Einstieg in eine düstere Serie, der mit einem gut gemachten Cliffhanger endet. In der Wartezeit auf Band 2 werde ich mich dann mal darum kümmern, dass Gabellas „Einhorn“ endlich in mein Regal kommt!
Der Henker Band 1: Göttliche Gerechtigkeit? von Mathieu Gabella (Text) und Julien Carette (Zeichnungen)
Hintergründe von Jérôme Benoit, Farben von Jean-Baptiste Hostache
Erschienen 12/2016 im Splitter Verlag (hier lang zur Leseprobe)
ISBN 978-3-95839-475-9, 56 Seiten, Hardcover, Eur 14,80
Übersetzung aus dem Französischen von Marcel Le Comte
4 Comments
WortGestalt
7. Mai 2017 at 10:17Heute ist endlich mal wieder Zeit zum Blogpostlesen und ich wollte ja noch schauen, was du zum Henker geschrieben hast. :) Habe die Mail mit dem Post auch extra im Posteingang liegen lassen, damit mir das ja nicht durchrutscht. Und ich bin froh, dass ich mir den Band inzwischen auch zugelegt habe, mir gefällt, was du zum Buch schreibst. Die Parallelen zum Figurentyp des Rächers in moderner Umgebung habe ich auch schon wahrgenommen, nicht zuletzt das Coverbild trägt zu diesem Eindruck bei, aber ich finde das auch nicht sonderlich störend, schließlich kommt es auf die Interpretation und die Umsetzung an. Ich freue mich schon aufs Lesen, insbesondere auf die Zeichnungen!
Viele liebe Grüße,
Philly
booknapping
7. Mai 2017 at 20:12Hallo liebe Philly,
danke für deinen Kommentar zu meinem „Henker“-Beitrag und ich freue mich sehr, dass du für diesen hierher zum Beitrag zurückgekommen bist :-)
Die Parallelen zum klassischen „Rächer“ finde ich übrigens auch eher spannend als negativ. Klasse, dass du dir den Band schon zuglegt hast und ich bin neugierig, wie er dir gefällt. Die Zeichnungen wirst du ganz sicher mögen, vor allem zusammen mit der tollen Kolorierung.
Liebe Grüße,
Sandra
booksnstories
2. Mai 2017 at 19:13Hier liebäugle ich ja auch schon mit, seit ich die ersten InstaFotos gesehen habe.
Ich versuche mich mal an eure Bloggeraktion zum Thema Comics mit dranzuhängen. Das passt grade gut xD
booknapping
3. Mai 2017 at 06:46@booksnstories Klasse, da freue ich mich schon mal auf deinen Artikel!
Zum „Henker“: Hast du schon etwas von Gabella gelesen?
LG,
Sandra
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