Kapitel 1: Lises Tod
Auf einer zerstörten Erde sind Alex und Martha auf der Suche nach verwertbarem Material, nach Schätzen aus der Vergangenheit. Bücher bringen stets gute Preise auf dem Schwarzmarkt, daher ist ihr aktueller Fund wissenschaftlicher Werke ein Erfolg. Käufer auf dem Mars lechzen geradezu nach diesen alten papiernen Hinterlassenschaften, denn der Rohstoff aus dem sie hergestellt werden, ist nicht mehr verfügbar: Holz.
Bei der Bergung der Beute aus einem viele Stockwerke hohen Gebäude kommt es allerdings zu einem schwerwiegenden Unglück. Marthas Tochter Lisa stürzt ungesichert in den Turm, schlägt hart auf dem steinernen Boden auf. Mitglieder des Teams, die in weitere Tiefen des teils mit Wasser gefluteten Turmes getaucht waren können direkt nach dem Sturz beobachten, wie sich einige große Krakenwesen dem leblosen Körper des kleinen Mädchens nähern. Sie scheinen körperlichen Kontakt mit ihm aufzunehmen und befördern es schließlich mit ihren Krakenarmen an die Oberfläche. Lise ist wieder bei ihrer Mutter. Aber Lise ist tot.
Immer weiter hinab
Die lebende Tote wurde inszeniert von den Comickünstlern Olivier Vatine und Alberto Varanda. Vatine, der mir vor allem durch seine hervorragende Science Fiction-Serie Aquablue bekannt ist, hat mich mit seinem Szenario hier wirklich erwischt. Nachdem das Cover eine cthulhoide Story in einem viktorianisch anmutendem Setting suggerierte, war ich überaus (positiv) überrascht, als Vatine nach nur wenigen Seiten mit seiner Story auf den Mars wechselt. Umso weiter die Story voranschreitet, desto deutlicher wird, wie weit entfernt sie in der Zukunft angesiedelt ist. Und wie stark trotzdem die Anklänge zur klassischen Schauerliteratur des frühen 20. Jahrhunderts sind.
Genial eingewoben sind die Parallelen zu Mary Shelleys Frankenstein. Beispielsweise erinnerte mich der Monolog des mit dem Klonen beauftragten Wissenschaftlers (irgendwie muss Lise ja schließlich wieder „lebendig“ werden) an die Monologe in Shelleys Werk. Die insgesamt bedrückende und geheimnisvolle Stimmung ist ein weiteres Element, das mich diesen Vergleich beim Lesen geradezu spüren ließ. Ich fühlte mich erinnert an mein intensives Leseerlebnis von Frankenstein. Übrigens ein zutiefst beeindruckendes Buch, das mich mit in sein schwarzes Loch gezogen hat. Definitiv nichts für sonnige fröhliche Tage.
Auch in Die lebende Tote dreht sich die Spirale des Schreckens immer weiter. Taten zeigen Wirkung. Es ist nicht überraschend, dass diese Story nicht lustig und fröhlich endet.
Varanda hat diese so besondere und eigenständige Story in opulenten Bildern in Szene gesetzt, die wiederum von Vatine in meist gedeckten, der Stimmung angepassten Farben koloriert wurden. Zusammen ergibt das Artwork eine hohe Plastizität, die mich einmal sogar hat versuchen lassen, einen scheinbaren Krümel von einer Seite zu wischen, der sich aber als Teil einer Zeichnung entpuppte. Ein Lob hier auch an das sehr gut lesbare Lettering.
Beeindruckend empfand ich die Wirkung der von Varanda großzügig eingesetzten Schraffuren, die den Bildern eine ganz besondere Textur geben.
Die lebende Tote bietet literarische Unterhaltung auf hohem Niveau, fasziniert durch Schaueratmosphäre, eine atmosphärisch dichte Geschichte und verwebt Genre auf eine Weise, die einfach nur großartig ist.
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Story und Farben: Olivier Vatine
Zeichnungen: Alberto Varanda
Details: erschienen am 22. Mai 2019 im Splitter Verlag (Link zur Leseprobe) • Einzelband • 72 farbige Seiten • Hardcover • Euro 18 • ISBN 978-3-96219-312-6
Auch für Comic-Einsteiger*innen geeignet!
Rezensionen in anderen Blogs:
Bella’s Wonderworld (LINK)
Buchperlenblog (LINK)
11 Comments
Michael Kleu
19. März 2020 at 21:20Um den Comic-Laden meiner Stadt durch die Corona-bedingte Schließung zu bringen, habe ich mir dieses Comic jetzt bestelt, weil ich bei Dir und Ariane davon gelesen habe.
Ich bin sehr gespannt. Das Cover spricht mich jedenfalls sehr an.
booknapping
20. März 2020 at 12:06Und ich bin auf deine Meinung gespannt! Leider ist die literarische Vorlage nicht übersetzt, ansonsten würde ich da auch sofort zugreifen. Viel Spaß!
LG
Sandra
Michael Kleu
27. März 2020 at 18:48Eindruck nach dem ersten Lesen:
Bis zur „Wiederbelebung“ finde ich das Comic grandios. Tolle Bilder, tolle Stimmung. Beim Ende bin ich mir noch nicht so sicher, wie ich es finde.
In ein paar Tagen werde ich es noch einmal lesen, dann weiß ich mehr.
Ach, es gibt eine Literaturvorlage? Da muss ich aber mal schauen.
booknapping
29. März 2020 at 13:46Also ich mag es auch nach der Wiederbelebung sehr :-)
Die Vorlage ist aber wohl nicht übersetzt, leider.
LG
Sandra
Carsten Lang
12. Dezember 2020 at 12:11…das Artwork ist zugegebenermaßen auf einem recht gutem Niveau. Jedoch bleibt die beschriebene Welt für den Leser ein Rätsel, wenn man die ersten drei Teile von Vatine´s NUORK Reihe nicht gelesen hat. Diese sind im All Verlag erschienen und meines Wissens auch noch auf dem einen oder anderem Weg zu bekommen. Hier die Titel für alle Interessierten: „Nuork 1 – Das schwarze Kind“, „Nuork 2 – Die Stadt“ und „Nuork 3 – Alpha“. Alle drei Bände sind als Hardcover im Albenformat erschienen. Der Zeichenstil reicht jedoch bei weitem nicht an „Die lebende Tote“ heran.
booknapping
12. Dezember 2020 at 18:04Hach – wie clever ich doch bin :-D NUORK habe ich mir nämlich Anfang des Jahres im Ausverkauf beim All Verlag gesichert. Bisher sind sie noch ungelesen, aber auch das ändert sich irgenwann (ich sag nur … der unendliche Comicstapel). Und ja, Vatines Welt ist rätselhaft, fand das jedoch nicht unangenehm. Ich mag es durchaus, wenn nicht alles durchschaubar und glasklar ist. Eine Frage an dich: Hast du die Romanvorlage gelesen? Die würde mich ja brennend interessieren, leider reichen meine Sprachkenntnisse dafür nicht aus.
Liebe Grüße
Sandra
Carsten Lang
12. Dezember 2020 at 18:09…hahaha. Das was die Sprachkenntnisse angeht, geht es mir genau so. Bin ein alter Lateiner. Bereue es mittlerweile sehr kein Französisch gelernt zu haben. Aus dem Grund konnte ich den Roman leider auch noch nicht lesen….
booknapping
12. Dezember 2020 at 18:14Ich hatte sieben (!) Jahre in der Schule Französisch. Und ich kann es trotzdem nicht (mehr). Habe aber schon französischsprachige Comics angeschleppt, um das endlich die Sprachkenntnisse aus den Tiefen wieder ans Helle zu holen :-D
Bella
22. August 2019 at 09:45Hallo Sandra,
da kann ich dir absolut zustimmen – Ein wirklich großartiges Werk.
Ich verlinke deine Rezension gleich auch noch bei mir ;)
Herzliche Grüße
Bella
booknapping
24. August 2019 at 08:18Danke, liebe Bella :-*
Buchperlenblog
17. August 2019 at 18:21Huhu Sandra!
Hat mir auch definitiv gefallen die Geschichte mit ihren vielen Anlehnungen an literarische Verwandte. Davon könnt ich gern mehr lesen 😊
Liebe Grüße!
Gabriela
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