In einem Londoner Vorort
McKay lebt mit seinem Vater und seinem älteren Bruder Nesta in Crongton. Besser gesagt, in South Crong, denn der soziale Brennpunkt ist zweigeteilt. North und South Crong liefern sich Bandenkriege, das jeweils „feindliche“ Gebiet darf nicht betreten werden. Hat jemand nur ein Messer bei sich, gilt er höchstens als leicht bewaffnet.
McKays Mutter ist vor kurzer Zeit gestorben, sein Vater versucht seitdem die kleine Familie zusammenzuhalten. Macht Überstunden, um seinem jüngsten Sohn McKay eine Freude zu seinem 16. Geburtstag machen zu können. Aber der Gerichtsvollzieher steht immer wieder vor der Haustür in ihrem Wohnblock. Wenn sie unermüdlich an die Tür hämmern, soll McKay sich verstecken und bloß keinen Mucks machen.
Damit nicht genug, wird Nesta von einigen Jungs um sein Fahrrad erleichtert, als er nachts in einem North-Gebiet Runden dreht, in der er sich als South nicht blicken lassen sollte. Und richtig brenzlig wird es, als McKay sich zusammen mit fünf Freunden nach North Crong aufmacht. Sie wollen das Handy eines Mädchens zurück zu erobern. Venetias Ex-Freund hatte es ihr abgenommen und da sich heißes Material darauf befindet, bittet sie McKay, Jonah und Bit um Hilfe. Ihre Eltern sind strenge und sehr konservative Christen. Sollten diese mitbekommen, dass Venetia nicht nur einen älteren Freund hatte, sondern dieser auch noch Nacktfotos von ihr besitzt – sie überhaupt von einem Jungen nackt gesehen wurde! – niemand will sich wirklich vorstellen, was dann passiert. Vermutlich dürfte sie nie wieder aus der Wohnung gehen und müsste die Bibel auswendig lernen.
Dass ausgerechnet an dem Abend, als die kleine Gruppe bestehend aus Saira, Venetia, Bit, Jonah, Boy aus den Bergen und McKay sich nach North aufmacht, ein großer Run auf eine Einkaufsmeile in South Crongton geplant ist, wird sich noch als Handicap herausstellen. Es hat sich rumgesprochen, dass geplündert werden soll, was das Zeug hält. Auch die Polizei ist nicht untätig und der Bereich, nahezu der ganze Stadtteil, wird großräumig abgesperrt. Die Handyretter sind indes aber bereits unterwegs, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Im Bus treffen sie auf die erste ernsthafte Gefahr – die Gang, die Nesta das Rad abgenommen hat. Und an der er sich mittlerweile schlagfertig gerächt hat.
McKays Burg
Bereits auf den ersten Seiten habe ich gespürt, dass der Autor Alex Wheatle hier nicht einfach eine belanglose Geschichte erzählt. Nicht einfach eine Story über einen grauen ärmlichen Stadtteil, in dem Banden die Straßen unsicher machen. In dem Nachrichten über Mordopfer an der Tagesordnung sind, das Geld knapp ist, die Arbeitslosigkeit groß und die Rate an Straftaten immens. Und nicht einfach etwas aus der Ferne beschreibt, von dem er keine Ahnung hat. Sein Roman ist so lebensecht, die Straßenecken und Häuserschluchten strotzen vor grauer Wirklichkeit. Authentisch sind alle seine Charaktere, auch die des Stadtteils.
Ich gab’s nicht gerne vor anderen zu, aber nachts in unserer Burg alleine hatte ich eine verdamme Angst, besonders wo so viele in unserer Gegend ermordet wurden.
Die Ritter von Crongton, Seite 15
Voller Liebenswertigkeit zeichnet er seinen Protagonisten McKay. Dieser Fünfzehnjährige, der seinen Bruder als seine „Lieblingsperson auf der ganzen Welt“ bezeichnet, dies aber natürlich nie laut aussprechen würde. Der gerne und ganz wunderbar kocht, sich aber niemals die Blöße geben würde dem Vorschlag seiner Lehrerin nachzugeben, in der Koch-AG mitzumachen. Schließlich sind dort nur Mädchen. Außerdem ist er eh schon der „dicke Junge“, sich jetzt noch mit Essen zu beschäftigen würde ihn vor seinen Kumpels und auch den Mädchen nicht gut dastehen lassen. McKay schämt sich. Hat Angst. Angst vor Gangstern. Angst um seine Familie. McKay trauert um seine verstorbene Mutter. Er weint sich in den Schlaf. Er verliebt sich. McKay gewinnt neue Freunde. Und er wächst über sich hinaus.
Alex Wheatle erlaubt uns den Zutritt zu McKays Burg, seiner Festung, wie er sein Zuhause nennt. Immer wieder verwendet er diese Metaphern, verschafft sich damit selbst eine gewisse Sicherheit in der harten Umgebung.
Ein Ritter macht noch keine Tafelrunde
Aber McKay alleine macht nicht den großen Reiz dieses Romans aus. Es ist die Sprache, die so gut zu all dem passt (ich habe zum ersten Mal einen Rap in einem Roman gelesen – großartig). Es ist dieser Blick in eine Welt, die die Wenigsten von uns aus eigener Erfahrung kennen dürften. Erschreckend ist die herrschende Gewalt und Verrohung. Und dann wird die Trostlosigkeit der urbanen Umgebung von dem herzlichen Umgang der Freunde untereinander überstrahlt.
Wenn die Mitglieder der kleinen Gruppe gegenseitig für sich einstehen, gar ihr eigenes Leben riskieren. Wenn sie immer mehr zusammenwachsen, wenn Unterschiede in ihrer Herkunft, dem sozialen Stand der Familien und ihren Religionen als erfreuliche neue Erfahrungen angesehen werden und wir Leser*innen die tiefe Liebe zwischen McKay, Nestor und deren Vater spüren. Dann wird die graue Tristesse mit einem wunderschönen Regenbogen übermalt.
Welch herzerwärmender, ehrlicher, erschreckender, gewaltiger und wunderbarer Roman. Ich hätte ihn sehr gerne als Jugendliche gelesen! Bald kommt ein neuer Band und ich werde nicht zögern Crongton wieder zu besuchen.
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Die Ritter von Crongton
Geschrieben von
Alex Wheatle
Autorenportrait von der Webseite des Verlags Antje Kunstmann (Link):
Alex Wheatle wurde 1963 in Brixton geboren und wuchs größtenteils in einem Kinderheim auf. Mit 16 gründete er ein Reggae Soundsystem und trat unter dem Namen Yardman Irie auf. Während der Brixton Riots wurde er verhaftet und verbrachte einige Zeit im Gefängnis, wo er seine Liebe zur Literatur entdeckte. Er hat mehrere von der Kritik gefeierte Romane veröffentlicht, bevor er sich der Jugendliteratur zuwandte. Er lebt mit seiner Familie in London.
Übersetzt
aus dem Englischen von Conny Lösch
Originaltitel: Crongton Knights
Genre und Leseprobe
Jugendroman
Eine Leseprobe findet sich auf der Verlagswebseite: Leseprobe beim Verlag
Noch ein paar Details
Erschienen im September 2018 in Verlag Antje Kunstmann (Hardcover mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-95614-255-0, 256 Seiten)
Es gibt einen eigenständigen Vorgängerroman Liccle Bit. Der Kleine aus Crongton, den ich nicht vorher gelesen habe. Im März 2019 erscheint außerdem ein dritter Roman in der Reihe: Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann.
Die Ritter von Crongton habe ich als kostenfreies Rezensionsexemplar erhalten.
Meine Meinung ist davon völlig unbeeinflusst.
2 Comments
Anna
11. Januar 2019 at 10:40Das klingt nach einem echt tollen Roman! Harter Stoff, aber gut verpackt und mit tollen Figuren besetzt ist das ja auch gern mal etwas Spannendes. Ich bin überlegt, mir das Buch zu kaufen.
(Und yay, den Button für die PDF-Ausgabe hatte ich noch gar nicht gefunden! Ich lese zwar in einem Feedreader, aber bezüglich accessibility und zum Offline Lesen ist das super!)
Viele Grüße
Anna
booknapping
12. Januar 2019 at 16:44Hallo Anna,
ich bin gespannt auf deine Meinung, falls du das Buch lesen solltest. Fand es wirklich sehr stark.
Danke auch für dein Feedback zum pdf-Knopf :-)
Liebe Grüße,
Sandra
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