Gestern, am 25. März 2017, bin ich von der Leipziger Buchmesse zurückgekehrt und saß abends erschöpft und in trauter Zweisamkeit vor dem TV. In der Tagesschau wurden Bilder über polizeiliche Festnahmen von friedlich demonstrierenden Menschen in Minsk gezeigt. Der 25. März ist „Der Tag der Freiheit“ im diktatorisch regierten Weißrussland und, so lautete die Meldung, die Behörden die Demonstrationen nicht genehmigt hatte, schritt die Polizei ein. Menschen wurden mit Schlagstöcken zu Boden geknüppelt. Ältere Menschen wurden in gepanzerte Transporter gezogen. Es war gruselig anzusehen und bereitete uns eine Gänsehaut. Doch die Bilder zeigten auch, dass die Demonstranten sich nicht einschüchtern ließen. Beispielsweise waren Frauen zu sehen, die das Abführen von (womöglich ihren) Männern mit bloßen Händen zu verhindern suchten.
Und bei diesen Bildern erinnerte ich mich an einen Comic, der bleibende Erinnerungen in mir hinterlassen hat. kleiner vogel rot der Autoren Veronika Mischitz und Christopher Bünte erschien 2009 beim Hamburger Comic-Verlag Zwerchfell. Damals schrieb ich eine Rezension, die ich jetzt auch hier in meinem Blog festhalten möchte. Gut, dass er weiterhin im Programm des Independent-Comic-Verlags und weiterhin lieferbar ist. Ich möchte ihn euch unbedingt ans Herz legen.
Premiere in München 2009
Auf dem Münchner Comicfestival 2009 war die Weltpremiere für den Comic „kleiner vogel rot“. Veronika Mischitz legt damit die Adaption von Christopher Büntes gleichnamiger Kurzgeschichte vor. Herausgekommen ist ein kleines Kunstwerk der deutschen Comicszene.
Mari lebt in einer Welt, die von einem diktatorischen Regime kontrolliert wird. Eine eigene Meinung, Fantasie, Kreativität – dies alles sind Dinge, die von der Regierung unterdrückt werden. Wer sich anders verhält, wer nicht angepasst ist, wer beginnt nachzudenken, läuft Gefahr „abgeholt“ zu werden. Das Regime rächt sich an diesen Menschen schlussendlich durch deren Hinrichtung.
Aber es gibt Mutige, die sich nicht anpassen lassen wollen und mit ihren Mitteln kämpfen. Mari gesellt sich zu diesen Widerständlern und versucht mit ihrer künstlerischen Arbeit einen kleinen Teil zur Verbesserung der Welt beizutragen. Sie setzt damit ihr Leben aufs Spiel …
Einfühlsame Hymne an den Mut
kleiner vogel rot ist bis auf den titelgebenden kleinen roten Vogel, der wenige Farbtupfer auf die Seiten bringt, in Schwarzweiß gehalten. Die Zeichnungen sind klar und, besonders durch das Fehlen von Farben, eindringlich; sie unterstreichen die beklemmende Stimmung. Auf den letzten Seiten des Comics findet sich die Originalvorlage, die Kurzgeschichte von Christopher Bünte, so können Adaption und Kurzgeschichte sich ergänzen und auch, wenn gewünscht, direkt miteinander verglichen werden.
kleiner vogel rot ist eine einfühlsame Hymne an den Mut; ein kleines Denkmal für Menschen, die sich trauen in Widerstandsbewegungen gegen Unterdrückung und für eine bessere Welt zu kämpfen. Dem Zweierteam (Mischitz und Bünte) gelingt es in dieser Dystopie mit klar gezeichneten, schnörkelfreien Bildern und wirkungsvoll eingesetztem Text, diese Hymne zu komponieren, dieses Denkmal zu setzen. Die „Bildergeschichte“ kommt nicht zuletzt aufgrund der aussagekräftigen Zeichnungen mit relativ wenig Text aus. Viele der Panels enthalten gar keinen Text, welcher aber keineswegs beim Lesen vermisst wird.
Die Story vermag aufzuwühlen und hinterlässt einen starken Eindruck. Bleibt zu hoffen, dass die Dystopie in dieser schrecklichen Form ihren Weg nicht mehr in unsere Realität findet.
kleiner vogel rot kann neben Comic und Kurzgeschichte noch mit einigen halbseitigen Zeichnungen von Gastkünstlern und den Selbstvorstellungen der beiden Autoren aufwarten. Wer genau hinschaut, findet auf den abschließenden Seiten des Comics, auf denen der Zwerchfell Verlag weitere Titel aus seinem Programm vorstellt, auch eine sehr sympathische Vorstellung des Verlages selbst.
Ein anspruchsvoller, beeindruckender Comic aus deutschen Landen, der auch Jugendlichen einen guten Einstieg ins Thema Unterdrückung und Diktatur bieten kann.
kleiner vogel rot
Getextet und gezeichnet von
Veronika Mischitz und Christopher Bünte
Genres und Leseprobe
Dystopie, Gesellschaftskritik, Politik, Graphic Novel
Reinlesen z. B. bei mycomics.de
Noch ein paar Details
04/2009 im Zwerchfell Verlag, ISBN 3-928387-91-X, 90 Seiten, Hardcover, schwarz-weiß
No Comments
Mit Absenden deines Kommentars akzeptierst du meine Datenschutzbestimmungen.