Jagen und Sammeln
Es wird Zeit auf Jagd nach neuen Waltraudern zu gehen und so bereiten sich einige der jungen Leute, der auf den Felsen lebenden Gemeinschaft, auf diese besondere Aufgabe vor. Denn nur von den Punkis, die im Schleim der Waltrauder leben, können die Menschen sich ernähren. Demnach hieße es für sie: werden keine neuen Waltrauder gefangen, gibt es keine Punkis – ergo: sie müssen (ver)hungern. Dramatisch!
Die Herausforderung liegt darin, dass die Waltrauder sehr schwer zu fangen sind. Sie können sich unsichtbar machen und nur durch Erschrecken in Form eines lauten Knalls dazu gebracht werden, diese Fähigkeit kurzzeitig auszusetzen. Außerdem leben sie im angrenzenden Spinnenwald, der wiederum an das Gebiet der Augen grenzt. Riesige Wesen, die eine immense Gefahr darstellen. Wird man von ihren Strahlen getroffen, bezahlt man es mit dem Augenlicht. Auge um Auge. Nichtsdestotrotz machen die Jugendlichen Dan und Albi sich auf den Weg in den Spinnenwald. Albis Plan ist, einen riesigen Waltrauder zu fangen, der sogar freiwillig bei ihnen bleibt! Ob dieses Abenteuer gut ausgehen kann?
Rätselhaft
Spinnenwald war nicht meine erste Begegnung mit Sascha Hommer. Vor einigen Jahren las ich seinen Band Im Museum 1: Die Treppe zum Himmel gemütlich sitzend in einer Bibliothek und habe vermutlich den ein oder anderen erstaunten Blick geerntet, wenn ich plötzlich gluckste oder spontan laut loslachen musste. Herrlich und genau mein Humor. So wurde ich hellhörig, als ich von der Veröffentlichung von Spinnenwald Wind bekam.
Ich nehme das Fazit vorweg: Dieser Comic hat mich irritiert zurückgelassen. Hatte ich etwas übersehen? Würde es eine Fortsetzung geben? Was wollte mir dieses Buch sagen? Ich habe mir und der Geschichte etwas Zeit gelassen, um sich in mir zu setzen. Mittlerweile hat sie das getan, ist nun ganz tief unten in mir angekommen, die Fragen sind jedoch geblieben.
Was wollte mir Spinnenwald sagen?
Hommers rundliche, leicht gnubbelige Figuren haben dickstrichige weiche Konturen, alles wirkt süß und knuddelig. Die – eigentlich schleimigen – Waltrauder möchte man am liebsten selbst als Haustier aufnehmen und so richtig kräftig in den Arm nehmen. Der Kontrast der niedlichen Bilder zum Story-Inhalt ist hier stark. Wird doch Seite um Seite klarer, dass die Waltrauder nicht nur in Gefangenschaft gehalten, sondern auch mittels großer Steine quasi gefoltert werden. Denn nur mit einem solchen Lebensstein werden sie ihrer Fähigkeit beraubt sich unsichtbar zu machen. Zwar kommen Zweifel über die Methoden und Ausbeutung der süßen Nahrungsmittelträger auf, jedoch geht es im Endeffekt ums blanke Überleben. Verhungern oder Waltrauder quälen – worauf fällt wohl die Wahl?
Im Landstrich hinter dem Spinnenwald, hinter der großen Mauer, die den Wald in dieser Richtung begrenzt, herrschen die sogenannten Augen, die mich in Größe und Auftreten an die Tri-Pods aus H. G. Wells‘ Krieg der Welten erinnert haben. Und auch diese weisen keine Spur von Harmlosigkeit auf, wenn sie unerschrocken mit aus ihren Augen schießenden Strahlen auf die Leute losgehen.
Was also wollte dieser Comic mir sagen? Ich grüble noch immer. Ist Spinnenwald gedacht, als eine Allegorie auf unseren Umgang mit Tieren, die zur Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln gezüchtet, gehalten und getötet werden? Sollen wir Menschen mit der Nase in den Urin gedrückt werden, den wir bildlich auf dem Stubenteppich hinterlassen haben, um die Absurdität abzubilden, dass wir das kleine Lämmchen auf der Weide sooo süüüß finden, und es dann abends als Dönerfleisch in uns reinstopfen?
Anmerkung: Wenn ich „wir“ schreibe, meine ich den Großteil der Bevölkerung. Mir ist klar, dass nicht alle Tiere essen.
Was hat es auf sich, mit den mächtigen Augen? Warum greifen sie scheinbar willkürlich und mit so absehbar grausamen Folgen an? Was hat es mit dem Boten – dem Propheten in dieser Geschichte – auf sich, der den Felsenbewohnenden erschienen ist und „ihnen Wissen brachte“? Vielleicht suche ich auch nach einem Sinn, der gar nicht vorgesehen ist? Ich weiß es nicht.
Fragen über Fragen. Solltet ihr den Comic gelesen haben, teilt mir bitte mit, was er in euch hinterlassen hat! Habt ihr Antworten gefunden? Teilt sie mit mir. Ich kann jedem nur raten, einen Blick in die ausführliche Leseprobe auf der Webseite des Reprodukt-Verlags zu werfen, die ich unten auch verlinkt habe.
SPINNENWALD VON SASCHA HOMMER
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Erschienen 2019 im Reprodukt Verlag (Link auch zur Leseprobe)
152 Seiten, schwarz-weiß, Softcover (Klappenbroschur), ISBN 978-3-95640-200-5, 18 Euro
Weitere Rezensionen finden sich unter anderem bei der Bloggerkollegin:
Letterheart
Kaufen könnt ihr den Comic z. B. im Onlineshop von COMIX Hannover (Link)
Den Comic habe ich als kostenfreies Rezensionsexemplar erhalten.
Meine Meinung ist davon völlig unbeeinflusst.
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2 Comments
Miss Booleana
3. April 2020 at 19:02Oh, das ist ja spannend! Total losgelöst von dir bzw deinem Beitrag habe ich Anfang März auch was von Sascha Hommer gelesen – mein erster. Hieß „Vier Augen“ und ließ mich ähnlich rätselnd zurück. D.h. bei dem scheint die Aussage mehr auf der Hand zu liegen als hier beim Spinnenwald. Es geht dort um Jugendliche, die sich das Hirn wegkiffen und einen aus ihrer Mitte, der vielleicht die Kurve kriegt und sich seines inneren Dämons bildlich entledigt. Aber das ganz drumherum war mit so wenig Introspektion erzählt, dass ich trotzdem auch nur Fragen im Kopf hatte nach dem Lesen. Hat sicherlich seinen Reiz und ist sehr interessant, aber man muss wissen, ob man das als Leser ab kann, oder?
booknapping
6. April 2020 at 20:31Hi Steffi,
„Vier Augen“ kenne ich noch nicht, werde ich mir aber schon aus Neugier jetzt anschauen :-D
Falls es dir über den Weg läuft, guck doch mal in „In Museum“ rein, ich fand es echt spitze.
Und um deine Frage zu beantworten – wissen, ob man das ab kann, kann man ja eigentlich erst, wenn man es gelesen hat *grübel*. Aber ich habe schon von anderen gehört, dass ihnen der Spinnenwald total gut gefallen hat. Die Wirkung ist demnach sehr unterschiedlich, was ich wiederum sehr spannend fand!
Liebe Grüße
Sandra
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