Ich richte mich mit diesem Beitrag an alle, die schon länger Comics lesen, sammeln und genießen. Aber auch alle Interessierten und Comiclesende mit weniger Erfahrung können Spaß am Text haben. Am Ende des Artikels findet ihr außerdem ein spannendes Interview mit Katinka Kornacker, einer der zwei Inhaberinnen der Comicbuchhandlung COMIX in Hannover. Das solltet ihr auf keinen Fall verpassen!
Wir sind erfahrene Comicleser*innen.
Wir lesen, lieben, atmen Comics und das oft schon seit Jahrzehnten. Wir haben Abos für unsere Lieblingsserien, bestellen die nächste Gesamtausgabe vor und schwelgen in der Vielfalt der Publikationen der von uns so geliebten »bebilderten Literatur«. Wir wissen, dass die Vielfalt der Comics nicht unter einen Hut zu stecken ist, der Begriff Comic alle Spielarten dieses Genres der Literatur umfasst, egal welches Branding ihnen auch auf die Coverstirn gestempelt wird. Graphic Novels, Manga, Funnys, Comicstrips – am Ende sind es immer Comics. Wir wissen das.
Die Mehrheit von uns Comiclesenden hat auch einen Lieblingscomicshop. Schon lange sind wir mit unseren Dealer*innen nicht mehr nur per »Du«, sondern fachsimpeln über Tom Kings neuestes Machwerk, die mehr oder weniger gut gelungene Umsetzung einerComicreihe als TV-Serie. Wir tauschen uns über die dunklen Geheimnisse unserer Sammlungen aus und erwischen uns dabei, wie wir einfach nur zum Quatschen vorbeischauen. Dass wir trotzdem mit mindestens einem neuen Comic aus dem Laden gehen, ist selbstverständlich, unsere Wunschlisten geben genug her. Zu Hause wird dieser dann gelesen, einsortiert, vielleicht sogar katalogisiert und mit Schutzhülle und Board versehen. Soweit so gut. Wir haben Spaß. Im besten Falle unterstützen wir damit die lokale Comicbuchhandlung.
Aber reicht das? Reicht uns das? Wie oft denken wir darüber nach, dass Comics noch immer »Nische« sind? Und darüber, was wir aktiv dazu beitragen können, um sie aus ihrem Nischenhockerdasein zu befreien?
Mir reicht es schon lange nicht mehr
Ich möchte einen Teil dazu beitragen, die Leidenschaft für Comics viral gehen zu lassen. Menschen sollen das Medium und dessen immense Vielfalt für sich (wieder) entdecken. Ich möchte daran teilhaben, Vorurteile, Vorbehalte und erste Berührungsängste abzubauen. Ängste? Ja, es gibt auch Ängste. Wie immer gilt es in einem solchen Fall, Unbekanntes zu Bekanntem zu machen, um das Eis zu brechen. Und wer könnte das besser in Angriff nehmen als wir – die erfahrenen Comiclesenden?
Bei intensiver Beschäftigung mit der Thematik wird deutlich, dass viele der Dinge, die für uns als völlig selbstverständlich gelten, für andere scheinbar unüberwindbare Hürden darstellen können.
Nur ein Beispiel: Eine Comicbuchhandlung zu betreten ist für uns ein Highlight, für Einsteiger in die Comic-Bubble kann aber dies schon eine zugespitzt hohe Schwelle sein. Unsicherheit spielt dabei eine große Rolle. Gedanken wie, „Ich kenne mich nicht aus, was soll ich bloß sagen, wenn ich etwas gefragt werde.“ oder „Da komme ich mir furchtbar dumm vor“, sind keine Seltenheit. Manch eine*r hat auch Bedenken, beobachtet zu werden beim ziellosen Rumschleichen zwischen den Regalen. Wie leicht ist es dann doch einfach den Rückzug anzutreten.
Da wären wir wieder bei »Wir wissen«, dass dies so nicht der Realität entspricht. Dass eher das Gegenteil zutrifft und die Atmosphäre in einem Comicladen meist locker und ungezwungen ist, egal wie vollgestellt und dunkel er von außen aussehen mag und selbst dies ist heute nicht mehr an der Tagesordnung.
Den mürrischen, meist männlichen Comicbuchhändler, der hinterm Tresen aufunwissende Kunden wartet, halte ich für eine ausgestorbene Spezies und war vielleicht schon immer nichts anderes als eine Urban Legend.
Auch dürfen wir nicht ausblenden, dass nicht alle Comics lesen können. Die Fähigkeit, Bild und Text auf einmal zu erfassen. Die Story über mehrere Panels zu verfolgen, die »Leerstellen« mit eigenem Vorstellungsvermögen zu füllen und dann auch noch die Texte in der richtigen Reihenfolge zu lesen, ist keine Selbstverständlichkeit. Wer das nicht in jungen Jahren aufgesogen hat, muss es oft erst lernen. Wenn es um diese Ängste geht, sind nun wir an der Reihe, diese nicht zu belächeln.
Leidenschaft verbreiten – ein paar Inspirationen
Wie wird eigentlich das, was wir lieben, wie wird unsere Vorliebe für Comics von denen gesehen, die sich nicht mit Comics beschäftigen? Sehen sie uns wirklich nur als verschrobene Typen, die bunte Bilder mögen und die keinen Sinn für „echte“ Literatur haben?
Was ist mit Vorurteilen, wir Comiclesende würden uns an dem häufig präsenten Sexismus und an unrealistischen Frauendarstellungen sattsehen? Sorry, aber da sind wir heute glücklicherweise doch schon eine ganze Ecke weiter. Und trotzdem lohnt es sich, weitere Schritte zu gehen, um auch die nächste Ecke zu nehmen, weitere Vorurteile abzubauen und – ganz wichtig – neue Comicfans zu gewinnen.
Neben dem jährlich stattfindenden Gratis Comic Tag, ist eine der einfachsten Möglichkeiten, Comics in der Öffentlichkeit zu lesen. Im Café, im öffentlichen Nahverkehr, in Wartezimmern – einfach überall. Wir holen damit den Comic aus seiner Ecke, setzen uns bildhaft in die Mitte des Zimmers, wo wir von allen gesehen werden können. Alleine das schon kann Mitmenschen inspirieren und Mut machen, sich mit dem Medium zu beschäftigen. Eine ganz wundervolle Art, Comics Präsenz zu verschaffen und offen und selbstbewusst mit unserer Leidenschaft umzugehen. Jedes Jahr bietet sich insbesondere der International Read Comics in Public Day an. Am 28. August (Jack Kirbys Geburtstag) füllen sich seit 2010 die Social Media-Plattformen mit Fotos von Comiclesenden, die sich an #readcomicsinpublic beteiligen.
Einmal über Comics ins Gespräch gekommen, liegt es oft an uns etwas Geeignetes zu empfehlen. Hier gilt es über die eigenen Vorlieben hinwegzusehen und auch einige Klassiker des Genres sollten besser zunächst ausgeklammert werden. Nehmen wir beispielsweise Watchmen. Natürlich ist dies ein Meisterwerk des Genres, aber für jemanden, der sich herantasten möchte, nicht unbedingt das Richtige. Auch mit Tipps, sich zunächst mit der »Kunst« des Comiclesens zu beschäftigen (Scott McCloud – Comics lesen), empfiehlt es sich zurück zu halten. Es muss nicht alles perfekt laufen, niemand muss alle Fachbegriffe kennen.
Besser ist es, die Interessierten einfach ins Wasser zu schmeißen. Angepasst auf die Vorlieben der Person kann es dann ja trotzdem tiefgehend, künstlerisch, lustig oder blutig zugehen. Wenn es gut läuft, werden sie erfrischt und glücklich auftauchen, die Schwimmflügel abstreifen und sofort zum nächsten Comic greifen, der ihnen entgegen treibt. Ein solcher Erfolg wiegt viele Misserfolge locker wieder auf.
Wer es übers Herz bringt, auch mal einen Comic zu opfern, lässt einen in der Bahn, im Pausenraum am Arbeitsplatz oder einem beliebigen öffentlichen Ort zurück. Die Chance, dass jemand reinschaut, der einfach nur neugierig ist, ist gar nicht so schlecht. Habe es selbst schon erfolgreich getestet.
Es gibt so viele Möglichkeiten, die wir Einzelnen mit unserer Erfahrung nutzen können, um Comics präsenter zu machen und Vorurteile abzubauen, dass es die Zahl der möglichen Zeichen in diesem Beitrag sprengen würde. Let’s simply do it.
Interview mit Katinka (Inhaberin COMIX Hannover)
Exemplarisch für alle Comicbuchhandlungen im deutschsprachigen Raum, habe ich mit Katinka Kornacker, einer der zwei Inhaberinnen des COMIX in Hannover gesprochen.
Katinka, ehrlich gesagt, war ich bei meinem ersten Besuch im COMIX überrascht, dass es im ganzen Laden keine antiquarischen Comics, wacklige Shortbox-Türme und verwinkelte Ecken gab. Als jahrzehntelange Comicsammlerin war dies für mich wie ein Kulturschock. Für andere ist aber vielleicht genau das der sogenannte Ice Breaker.
Welche Beobachtungen habt ihr über die Jahre hinweg gemacht? Ist dieses Konzept ein bewusster Schritt, um Comics aus der Nische zu holen? Oder hat es damit gar nichts zu tun?
Katinka Kornacker: Unsere Idee war von der ersten Minute an, die ganze Familie in den Laden zu locken und nicht nur den einsamen Comicnerd, der heimlich seine Comics kauft. Nein. Das wollten wir nicht. Ich bin selber extremer Comicnerd und das schon immer und auch mein erster Comicladenbesuch sah genau so aus, inklusive der wackeligen Shortbox-Türme.
Ich komme noch aus der Generation, wo ich die einzige Frau im Comicladen war und ich hatte da diese Saloonstimmung. Das heißt, die Tür ging auf, ich betrat den Laden und alle anwesenden Männer schwiegen. Und starrten mich an, das war furchterregend :-D Dann habe ich angefangen in einem Comicshop zu arbeiten und habe dort versucht, diese dunklen Ecken auszufegen. (Habe dabei selber Schätze gefunden, von denen meine damaligen Chefs keine Ahnung hatten.) Dort habe ich gemerkt, dass das so für viele (potentielle) Kunden gar nicht kompatibel ist – die haben sich nicht reingetraut. Das wollte ich ändern!
Damals habe ich beobachtet, dass 99% aller Comicladenkunden männlich waren. COMIX haben wir 2003 eröffnet. Wir haben die Türen geöffnet, hatten viel Tageslicht im Laden, eine Putzkraft :-D und haben versucht, das ganze Konzept sehr offen zu gestalten.
Woran merkt ihr, dass eure Bestrebungen einen Effekt haben?
Katinka Kornacker: Bämm – da waren sie plötzlich, die 50% Frauen, die heute hier einkaufen. Außerdem haben wir uns 3 x vergrößert und sind sehr glücklich, dass wir seit Eröffnung jährlich einen Umsatzzuwachs verzeichnen können. Das ist eine tolle Bestätigung unserer Bemühungen.
Nun ist COMIX ausschließlich in Hand von Frauen – dir und Swantje Wieland. Glaubst du, dass dies Auswirkungen auf eure Vorgehensweise, das Sortiment und auch die Form der Präsentation hat? Ich finde es auf jeden Fall sehr sympathisch und fühle mich dadurch als Comicleserin repräsentiert.
Katinka Kornacker: Ja, ich denke Frau, ich bin Frau und ich bin gerne Frau. Und ja, auch auf Sortiment und Präsentation. Gar keine Frage, wir unterscheiden uns da doll von vielen anderen Läden. Ich höre auch immer wieder – interessanterweise nur von Frauen – dass gerade die Präsentation, die Sauberkeit und das Ausleuchten der Ware geschätzt werden. Glücklicherweise haben wir hier mit einem guten Elektriker zusammen arbeiten können, da Licht für uns auch sehr, sehr wichtig ist. Dunkle Ecken kamen für uns überhaupt nicht in Frage. Wir finden es einfach wunderschön, die Bilder in den Comics zu sehen und nicht nur zu erahnen.
Kommt es häufig vor, dass jemand in den Laden kommt und nach einer Empfehlung für Comicneueinsteiger fragt?
Katinka Kornacker: Das kommt häufig vor, definitiv, und hat viel mit Phasen zu tun. Wenn ein Comic oder eine Graphic Novel viele Rezensionen bekommen hat, dann ist die Neugier (wieder) geweckt.
Zuletzt zum Beispiel bei Lucky Luke von Mawil. Da steht groß in der Zeitung, dass es einen neuen Lucky Luke gibt, von einem Deutschen gezeichnet, und sofort sind die Leute neugierig. Da kommen viele das erste Mal in den Laden und das sind keine regelmäßigen Comicleser. Und sie kommen auch wieder. Ich führe mit vielen lange Gespräche und einige möchten mir nach dem Lesen auch Feedback geben. Das ist ein sehr schönes Gefühl und kommt oft vor.
Außerdem ist das Nerdsein ja mittlerweile Mainstream. Es gilt als wahnsinnig cool, ein Nerd zu sein, es ist schon eher uncool, wenn man kein Nerd ist. Früher war der Begriff wirklich schlimm, wir hätten uns nie selbst als Nerd bezeichnet.
Aber wir waren das trotzdem.
Katinka Kornacker: Ja, natürlich!
Es lohnt sich also. Raus aus der Ecke, ab in die Mitte.
- Mehr Beiträge in meiner Rubrik Universum der Comics findet ihr in der gleichnamigen Kategorie – hier klicken.
- Anzeige: Und zur Comicbuchhandlung COMIX in Hannover geht es übrigens hier entlang (Link).
7 Comments
Miss Booleana
8. Dezember 2019 at 15:57Yeah, sehr toller und wichtiger Beitrag! :) Vielen Dank dafür. Ich bin jedes Mal wieder verwundert wie Leute darauf reagieren, wenn man sagt, dass man gerne Comics liest. Meistens kommt zwar kein allzu blöder Spruch, aber Gesichter sprechen Bände und für viele scheinen Comics und Manga mit dem Literaturbegriff nicht vereinbar und nicht dazuzugehören. Wann immer ich kann und es sich aufdrängt, versuche ich Aufklärungsarbeit zu leisten, aber es nervt. In der Tat. Allerdings habe ich auch den Eindruck, dass es sich bessert. Als ich Teenager war, sah die Welt noch ganz anders aus. Da kamen tatsächlich blöde Sprüche. Vielleicht wird es ja langsam. Bis dahin brauchen wir noch weiter solche Artikel wie deine ;)
booknapping
8. Dezember 2019 at 20:25Lieben Dank, Steffi :-)
Ich kenne die komischen Sprüche, Blicke etc. ja auch zur Genüge. Und da ich mich eh gerne über Literatur unterhalte und in dem Feld halt auch sehr gerne über Comics, werde ich nicht müde, drüber zu schreiben ;-)
Liebe Grüße
Sandra
Michael Kleu
25. November 2019 at 18:32Sehr schöner Artikel!
„Auch dürfen wir nicht ausblenden, dass nicht alle Comics lesen können. Die Fähigkeit, Bild und Text auf einmal zu erfassen. Die Story über mehrere Panels zu verfolgen, die »Leerstellen« mit eigenem Vorstellungsvermögen zu füllen und dann auch noch die Texte in der richtigen Reihenfolge zu lesen, ist keine Selbstverständlichkeit. “
Das ist mir kürzlich bei meiner Tochter aufgefallen, als ich ihr ein Comic vorlesen wollte. Als 5-jährige ist sie von den vielen Bildern völlig überfordert, weil sie ja noch nicht weiß, dass man – in der Regel – von oben links nach unten rechts liest. Sie möchte jetzt nur noch Bücher mit einem Bild pro Seite ;-)
An meiner Tochter ist mir da das erste Mal bewusst geworden, dass Comiclesen eine Kulturtechnik ist, die man erstmal lernen muss.
(Ich hoffe, ich habe das nicht schon einmal erzählt ;-) )
booknapping
29. November 2019 at 13:58Lieber Michael,
das hast du noch nicht erzählt und ich danke dir für das Teilen dieser Erfahrung. Dann leg‘ dich ins Zeug, dass deine Tochter es lernt, aber du bist sicher schon dabei :-)
Liebe Grüße
Sandra
Kathrin
22. November 2019 at 14:50Liebe Sandra,
ich danke dir für diesen Beitrag und dein Engagement und Lanze-Brechen für die Comics – sei es hier oder beim Comicklatsch.
Du fängst in deinem Artikel so toll die Atmosphäre und Liebe zu Comic(läden) ein; ich habe beim Lesen so manchen eigenen Besuch vor Augen gehabt. Auf den Comix hast du mich nun auch neugieriger gemacht und ich glaube, ich muss dich mal besuchen kommen und mir dir ein wenig im Comic stöbern. :D
Sehr interessant fand ich auch deinen Hinweise für die Heranführung von Neulingen. Tatsächlich habe ich mir nie so richtig Gedanken gemacht, was wir, die Comics lieben, tun können bzw. worauf wir achten sollten, wenn wir jemanden an diese Form der Literatur heranführen möchten.
Liebe Grüße
Kathrin
booknapping
22. November 2019 at 16:15Liebe Kathrin,
danke für dein Feedback :-) Ja, mir liegt das Thema am Herzen und auch, wenn manche sich nicht bewegen wollen, kann ich es doch nicht lassen, immer wieder ein wenig zu „treten“. Meines Erachtens kann und SOLLTE jede*r was tun, damit die Vielfalt von Comics überall ein Begriff ist.
Ich stehe mir ja oft selbst auf den Füßen und kann gut nachvollziehen, was du schreibst. Zum Beispiel bin ich erst durch das Bloggen und den engen Kontakt mit vielen Lesenden darauf gekommen, dass es Menschen gibt, die nie gelernt haben, Comics zu lesen. Für mich war das immer völlig normal.
Liebe Grüße und ich hoffe, dass wir mal ein Comicblogger*innen-Treffen im COMIX oder einem anderen tollen Comicshop machen können :-) Das wäre toll!
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